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Lakritzwüste Wien

Als Tochter einer Frau aus Norddeutschland, aufgewachsen nahe der holländischen Grenze, kam ich schon früh mit Lakritz in Berührung und bin seitdem süchtig nach dem „schwarzen Gold“. Ich liebe Lakritz in jeglicher Form: Süß oder salzig, hart oder weich, mit Schokolade, Zucker oder Weingummi umhüllt, als Eis, Alkohol, Tee usw. – mir schmeckt einfach alles!

Während meiner Zeit in Taiwan habe ich mich über 4 Jahre mit regelmäßigen „Care-Paketen“ von Verwandten und Freunden in der Heimat, eigenen Schwarzimporten und dem gelegentlichen Kauen von Süßholzwurzeln über Wasser gehalten, um den Aufenthalt im lakritzefreien Taipei zu überbrücken. Als ich dann wieder nach Wien kam, hoffnungsvoll nun wieder leichter an das Genussmittel meiner Wahl zu kommen, musste ich enttäuscht feststellen, dass sich seit meiner Kindheit nicht viel geändert hat – Wien ist immernoch eine Lakritzwüste!

Gut, ich gebe zu, etwas hat sich schon verändert: In gut sortierten Supermärkten bekommt man mittlerweile wenigstens Haribo Lakritzschnecken, manchmal sogar Katjes Katzenpfötchen oder Rheila Salmiakpastillen, aber dieses äußerst beschränkte Angebot kann einen wahren Lakritzfan jedoch nicht langfristig zufrieden stellen. Um ausgefallenere Lakritzsorten zu ergattern, muss sich der Lakritzliebhaber, will er nicht weiterhin auf Hilfslieferungen aus dem Ausland angewiesen sein,  schon mehr ins Zeug legen und sich in den traditionellen Wiener Zuckerlgeschäften auf die Suche machen.

Als echter „Süchtler“ habe ich selbstverständlich keine Mühen gescheut, um meine Sucht zu befriedigen. Ich habe in zahlreichen Geschäften nach meiner Lieblingssüßigkeit gefragt und erstaunliche, befremdliche und leider auch enttäuschende Antworten enthalten. Mit Freude denke ich immernoch an eine Konversation mit einem Angestellten im Nobelsupermarkt Meindl am Graben. „Salmiakpastillen?!? Sie wollen Salmiak essen??? Mein Gott, Kind, das dürfen Sie doch nicht machen – Sie werden sich ja vergiften!!!“

Letztendlich habe ich aber doch ein paar Plätze gefunden, wo man für meine Leidenschaft Verständnis hat und mich mit meinem Suchtmittel beliefert. Für die schnelle Befriedigung empfehle ich den kleinen Kiosk vor der Hauptuni an der Straßenbahnstation Schottentor (oberirdisch). Hier gibt es eine kleine, aber feine Auswahl an süßer und salziger Lakritz. Wenn man etwas mehr Zeit zum Stöbern investieren kann, sollte man zur „Confiserie zum süßen Eck“ in der Währinger Straße 65 fahren. Dieses Altwiener Zuckerlgeschäft bietet mitten in der österreichischen Lakritzwüste eine ansehnliche Auswahl verschiedenster Lakritzsorten zu moderaten Preisen.

Aber warum gibt es eigentlich so selten Lakritz in Wien? Die einfachste und naheliegendste Antwort auf diese Frage bekommt man, wannimmer man einen Österreicher auf Lakritz anspricht: „Schmeckt scheiße!“ Damit könnte man sich zufrieden geben, aber warum sind sich 8 Millionen Menschen, deren Geschmacksinn doch sonst so vielfältig ist, gerade in dieser Frage so einig?

Eine Erklärung, warum sich Österreich zu einer praktisch lakritzfreien Zone entwickelt hat, behauptet sich recht hartneckig in den Weiten des Internets. Es  ist die des sogenannten „Wiener Lakritzedikts“, das noch heute in Kraft sein soll. Demnach hat der letzte ungarisch-österreichische Kaiser Karl angeblich während seiner kurzen Amtszeit die Einfuhr und den Verzehr von Süßigkeiten mit mehr als 5 % Lakritzanteil verboten. Leider habe ich dazu weder handfeste Daten noch Angaben über die Gründe finden können und so könnte es auch sein, dass das Lakritzedikt eher ins Reich der Urban Legends gehört.

Hilfreicher ist da schon die Theorie über den „Lakritzäquator“.  Werbefachleute haben im Rahmen der Verbrauchs- und Medienanalyse (VuMA) herausgefunden, dass durch Deutschland ein Lakritzäquator verläuft:

„Es gibt einen Lakritzäquator in Deutschland, der ungefähr auf Höhe der Mainlinie verläuft. Nördlich davon essen die Leute gern Lakritz. Hier wird überproportional viel Lakritz konsumiert. In den südlichen Bundesländern hingegen ist der Konsum unterproportional, weil hier viele Leute den typischen Lakritzgeschmack einfach nicht mögen. Über 80 Prozent unseres Lakritz verkaufen wir in Nordrhein-Westfalen und den nördlichen Bundesländern.“

(Heiner Wolters, Pressesprecher Katjes FASSIN GmbH & Co. KG)

Basis BRD Gesamt, Konsum Lakritz mehrmals pro Woche, Affinitätsindex

Warum dies so ist, lässt sich nicht so leicht beantworten, aber die aufgestellten Theorien begründen sich beide mit der geographischen Lage, und deshalb lassen sie sich eventuell auch auf Österreich erweitern. Die erste Theorie  behauptet, der Grund dafür, dass die „Nordlichter“ lieber Lakritz ässen, liege in der christlichen Seefahrt: Über die großen Häfen im Norden kamen die Norddeutschen viel früher mit Lakritz in Berührung als ihre Landsleute im Süden und erkannten, dass sie ein gutes Überlebensmittel im Kampf gegen Hunger und Durst war. Die zweite Theorie, die meiner Meinung nach deutlich plausibler scheint, sieht den höheren Lakritzkonsum im Norden in der salzigen Meeresluft begründet: Entlang der Küsten wurde deutlich salziger gekocht und so empfanden die Menschen Salzlakritz als sehr wohlschmeckend als sie ihnen zum ersten Mal angeboten wurde.

Endgültig wird sich die Frage wohl leider nicht klären lassen, aber letztere Theorie stimmt zumindest mit der Tatsache überein, dass in den Küstenregionen und Nordeuropa die salzige Variante bevorzugt wird, während man im restlichen Europa, wenn überhaupt, eher süße Lakritze bevorzugt.

Dem Lakritzfan in der Wiener Lakritzdiaspora bleibt also derweil nur die Hoffnung, dass auch die Wiener irgendwann der Lakritze ihr Herz öffnen und bis dahin den Import des „schwarzen Goldes“ selbst in die Handzu nehmen!

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